Es ist ein seltener Moment in der Metal-Welt, wenn eine Band nach über einem Jahrzehnt mit einem neuen Werk zurückkehrt und es schafft, die Fäden der eigenen Vergangenheit nahtlos mit einer gereiften musikalischen Vision zu verweben. Genau dies ist Falling Leaves mit ihrem zweiten Album „The Silence That Binds Us“ gelungen. Bereits mit ihrem Debüt „Mournful Cry of a Dying Sun“ aus dem Jahr 2012 etablierten sie sich als ernstzunehmende Vertreter des Melodic Doom Death Metal, doch was nun folgt, ist eine Vertiefung und zugleich Erweiterung ihres Klangspektrums.
Das Album wurde in Italien von Alessandro Comerio gemischt und von Dan Swanö gemastert, einem Produzenten, dessen Name in der Metal-Szene für Transparenz, Druck und emotionale Tiefe steht. Dass Falling Leaves auch diesmal wieder auf hochkarätige Gäste wie Paul Kuhr von Novembers Doom setzen, zeigt den Anspruch, nicht nur an die eigene Tradition anzuknüpfen, sondern sie bewusst weiterzuentwickeln.
Atmosphäre und musikalischer Grundcharakter
Von den ersten Takten an ist spürbar, dass „The Silence That Binds Us“ keine schnelle, sondern eine tiefgehende Auseinandersetzung verlangt. Der Sound der Band ist geprägt von schweren Gitarrenriffs, orchestralen Akzenten und einem Gesang, der zwischen gutturaler Wucht, erzählerischen Passagen und klaren Harmonien oszilliert. Dieses Wechselspiel sorgt dafür, dass die Stücke nie monoton wirken, sondern wie Kapitel eines zusammenhängenden Dramas erscheinen.
Die Einflüsse von My Dying Bride oder Novembers Doom sind unverkennbar, doch Falling Leaves gelingt es, nicht in bloßer Nachahmung zu verharren. Stattdessen erschaffen sie eine Klanglandschaft, die von Verzweiflung, existenzieller Leere und Verlust durchzogen ist – ohne jedoch jemals in Selbstzweckhaftigkeit zu verfallen.

„Carvings“ – Der Auftakt mit schwerem Gewicht
Das Album beginnt mit „Carvings“, einem Stück, das sofort die Kernthematik des Albums illustriert: Erinnerung als Quelle von Trost und gleichzeitig von unerträglichem Schmerz. Musikalisch baut der Song auf einer Mischung aus drückenden Gitarren und melancholischen Pianoklängen auf, die die Vocals wie eine düstere Gravur in den Klangteppich einbetten. Besonders eindrucksvoll ist das Spiel mit Dynamiken: Passagen der fast flüsternden Stille wechseln mit eruptiven Ausbrüchen, die das Zerrissene des Themas spürbar machen.
„The Angel on My Shoulder“ – Verrat als Lehrmeister
Mit „The Angel on My Shoulder“ bewegt sich die Band in noch schärfere Gefilde. Der Song behandelt das Thema Verrat, und das in einer Art, die sowohl lyrisch als auch musikalisch die Schwere des Themas betont. Die Gitarrenlinien wirken wie Schnitte, die sich in das Klangbild graben, während die Vocals zwischen Aggression und resignierter Klarheit pendeln. Besonders die gutturalen Passagen verleihen dem Lied eine Dramatik, die von der Leadgitarre mit wehmütigen Melodiebögen kontrastiert wird.
„We Are Alone“ – Existenzielle Einsamkeit als Herzstück
Als einer der zentralen Songs des Albums hebt sich „We Are Alone“ durch seine schonungslose Darstellung existenzieller Isolation hervor. Der Refrain wirkt wie ein Aufschrei gegen die Kälte der Welt, gleichzeitig aber auch wie eine Kapitulation vor ihr. Musikalisch erinnert der Aufbau an klassische Doom-Strukturen, doch die Integration von sanften Keyboard-Linien verleiht dem Stück eine fast sakrale Atmosphäre. Hier zeigt sich die Stärke von Falling Leaves: die Fähigkeit, das Gefühl völliger Verlorenheit so darzustellen, dass es nicht nur bedrückt, sondern auch fesselt.
„Ashes of My Mind“ – Die Glut der Erinnerung
Ein weiterer Höhepunkt ist „Ashes of My Mind“. Hier tritt besonders deutlich hervor, wie sehr die Band auf Kontraste setzt: mächtige Riffs stehen in Spannung zu zerbrechlichen Pianomotiven, und der Gesang wechselt zwischen Verzweiflungsschreien und ruhigen, fast resignativen Tönen. Inhaltlich geht es um das Verzehrende der Erinnerung – alles Helle wird zu Staub, alles Schöne verbrennt zu Asche. Der Song ist ein Paradebeispiel dafür, wie Falling Leaves emotionale Abgründe mit musikalischer Raffinesse in Szene setzen.
„Shattered Hopes“ – Zerstörte Weltbilder
„Shattered Hopes“ ist ein Song, der besonders durch seine dichte Atmosphäre hervorsticht. Die Textzeilen drehen sich um zerstörtes Vertrauen, um eine innere und äußere Welt, die in Trümmern liegt. Musikalisch entfaltet sich ein Wechselspiel aus schweren Rhythmen und feingliedrigen Gitarrenläufen, die das Bild von zerbrochenen Hoffnungen klanglich illustrieren. Viele Hörer empfinden den Song als potenziellen Abschluss des Albums – so stark ist seine emotionale Wucht.
„The Everlasting Wounds“ – Wunden ohne Heilung
Mit „The Everlasting Wounds“ wird das Thema Trauer auf eine noch existenziellere Ebene gehoben. Der Song verdeutlicht, dass manche Verletzungen nicht verschwinden, sondern zu einem Teil der eigenen Identität werden. Besonders die instrumentale Gestaltung überzeugt hier: ungewöhnliche Klangfarben, die beinahe an ein Saxophon erinnern, verleihen dem Stück eine zusätzliche Tiefe. Die Verbindung von klarem Gesang und gutturaler Repetition erzeugt eine bedrückende Intensität, die lange nachhallt.
„Visions of the Forsaken“ – Zwischen Traum und Leere
„Visions of the Forsaken“ ist ein introspektives Stück, das Isolation und emotionale Taubheit thematisiert. Hier gelingt es der Band, eine schwebende, fast geisterhafte Stimmung zu erzeugen. Streicher und Piano setzen Akzente, die das Gefühl von Entfremdung verstärken. Der Song wirkt wie ein Übergang zwischen dem expressiven Schmerz der vorherigen Stücke und der stillen Resignation des abschließenden Finales.
„Re-Silence (Silence Pt. III)“ – Der Kreis schließt sich
Mit „Re-Silence (Silence Pt. III)“ findet das Album einen leisen, aber kraftvollen Abschluss. Anders als die vorangegangenen Stücke verzichtet dieser Song auf dramatische Ausbrüche und setzt stattdessen auf die Macht der Stille. Der Schmerz ist nicht verschwunden, doch er hat sich verwandelt: aus dem Schrei ist ein Flüstern geworden, aus der Verzweiflung eine stille Akzeptanz. Hier zeigt sich die Reife von Falling Leaves besonders deutlich.
Produktion und klangliche Umsetzung
Die Zusammenarbeit mit Dan Swanö zahlt sich in jeder Sekunde aus. Der Klang ist klar, differenziert und dennoch massiv. Jedes Instrument erhält Raum zur Entfaltung, ohne dass die Dichte des Gesamtbildes darunter leidet. Besonders hervorzuheben ist die Balance zwischen Gitarrenwänden und feinen pianistischen Akzenten, die für die emotionale Tiefe unverzichtbar sind. Auch das Schlagzeug überzeugt mit einem Spiel, das Präzision und Ausdruckskraft miteinander verbindet.
Kritische Anmerkungen
So überzeugend „The Silence That Binds Us“ auch ist, es gibt Stellen, an denen man sich etwas mehr Variation gewünscht hätte. Gerade im Mittelteil verschwimmen die Songs gelegentlich in ähnlichen Stimmungen, sodass ein stärkerer Kontrast den Gesamteindruck noch intensiver hätte wirken lassen können. Doch diese Kritik ist relativ, da der rote Faden des Albums gerade in seiner konsequenten Stimmung liegt.
Ein Werk von bleibender Wirkung
„The Silence That Binds Us“ ist ein Album, das Zeit verlangt – und genau dadurch gewinnt. Es ist keine leichte Kost, sondern ein Werk, das den Hörer mit existenziellen Themen konfrontiert und ihn zwingt, sich auf eine Reise durch Verlust, Verrat, Einsamkeit und Akzeptanz einzulassen. Falling Leaves haben nicht nur ein zweites Album veröffentlicht, sondern ein Statement abgegeben: über die Macht der Musik, über die Tiefe menschlicher Emotionen und über die Bedeutung von Stille als letzte Antwort.
Unsere Wertung:
9 von 10 Metalhands
Unser Fazit:
Mit diesem Album beweist die Band, dass Geduld und künstlerische Konsequenz Früchte tragen. Wer bereit ist, sich auf die klanglichen Abgründe einzulassen, wird mit einem Werk belohnt, das lange nachhallt – ein Album, das nicht laut endet, sondern still bleibt und genau dadurch unvergesslich wird.
Mehr zu Falling Leaves im Netz:
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